5. Kirchturm – Im Café mit Dir

Inhaltsverzeichnis:

1.         Ein langer Spaziergang
2.         Einen Schritt zurück
3.         Flatternde Nerven
4.         Heißer Sommertag
5.         Kirchturm
6.         Die Nacht mit Dir
7.         Bittersüße Erinnerungen
8.         Zurück im Café

5. Kirchturm

„Wir können doch nicht in eine Kirche einbrechen?“, sagte Marie voll Zweifel und blickte zum Kirchturm hoch. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und leichte Schatten zeichnen sich auf Maries Gesicht.

„Warum nicht?“, fragte ich auffordernd. “Lass uns etwas Wirbel in diese langweilige Stadt bringen. Außerdem brechen wir nicht ein. Wir statten Gott nur einen Besuch ab“

„Aber wie sonst kommen wir rein, wenn wir nicht einbrechen?“, fragte Marie und biss auf ihren Fingernägeln herum.

„Ganz einfach“, erwiderte ich und ging ruhigen Schrittes auf den Seiteneingang zu. Links und rechts von der kleinen, braunen Tür waren über den Büschen Kerzenhalter an der Wand angebracht. Ich nahm die Kerze, die auf der linken Halterung ruhte, und hob stolz einen silbernen Schlüssel in die Luft.“

Marie staunte: „Wie-„

„Pfarrer Augustus ist ein alter, vergesslicher Mann. Darum ist hier immer ein Schlüssel für alle Fälle.“

„Brilliant“, flüsterte sie wie ein aufgeregtes Kind und sah sich um, ob uns jemand beobachtete.

„Duck dich!“, sagte sie leise und zog mich an meinem Hemd nach unten hinter einen kleinen Busch. Ich blickte Durch die Blätter der Pflanze und sah den Fleischhauer der Stadt, der auf der anderen Straßenseite sein Geschäft schloss. Pfeifend versperrte er die Türen und machte sich mit einem Korb in seiner Hand auf dem Weg nach Hause.

„Das war knapp“, flüsterte Marie. Ich musste lächeln, weil ich sehen konnte, wieviel Spaß sie hatte. Leise öffnete ich die Holztür.

In der Kirche war es kalt und dunkel. Ich führte Marie zu den Stufen, die uns hoch in den Kirchenturm führen würden. Man hörte nur unsere Schritte, die die schwere Steintreppe erklommen. Plötzlich begann Marie, zu summen und das Echo der alten Steinwände ließ ihre Stimme magisch wirken.

Etwas außer Puste erreichten wir die letzten Stufen. Vor uns eröffnete sich die schwere, schwarze Glocke, die in der Mitte mit Stahlseilen an der Decke montiert war. „Wow!“, flüsterte Marie, als sie durch eines der glaslosen Fenster des Turms blickte. Von hier aus konnte man die gesamte Stadt sehen. Die Sonne war bereits vom Horizont verschwunden, doch das Restlicht des Tages ließ uns die wichtigsten Orte der Stadt erkennen.

Etwas Licht aus den Fenstern des Gasthauses erhellte den Stadtplatz und ich sah einen sehr betrunkenen Mann durch die Gassen schwanken. Der Brunnen plätscherte ruhig vor sich hin.

„Da ist die alte Mühle“, sagte ich und zeigte mit dem Finger auf das alte Gebäude am Bach.

Plötzlich ertönte ein lautes Krachen und wir sahen, wie der betrunkene Mann am Stadtplatz seine Flasche Bier am Boden zerbrechen ließ und über eine Scheibtruhe stolperte.

Marie und ich blickten uns an und mussten lauthals lachen.

„Das könnte mein Onkel sein“, sagte sie und wischte eine Träne von ihrer Wange. Ich nahm ihre Hand und tanzte mit ihr durch den Kirchenturm. Gelernt habe ich es nie, doch ich wirbelte sie durch den engen Raum, als wäre ich professioneller Tänzer. Das amüsierte sie sehr. Ihr Lachen wurde zu einem Kichern und stoppte abrupt als ihr Blick auf die Glocke in der Mitte fiel. Sie ließ meine Hand los. „Denkst Du, was ich denke?“, fragte sie aufgeregt.

„Nein“, sagte ich und nahm ihre Hand, doch sie riss sich los und stolzierte auf die Glocke zu.

„Marie, wir können doch nicht…“, doch es war zu spät. Mit einem kräftigen Schwung schlug sie ihre Handtasche auf die Glocke und hielt sofort ihre Ohren zu, weil sie mit einer so hohen Lautstärke nicht gerechnet hatte.

Ihr Gesicht strahlte wie das eines kleinen Kindes, als plötzlich jemand von der Straße schrie: „Hey, wer ist da?“

Wir sahen uns mit großen Augen an. „Lauf!“, schrie ich und wir rannten so schnell wir konnten die Stufen hinunter. In der Kirche war es bereits stockfinster und ich zog Marie Richtung Seiteneingang, doch die Tür öffnete sich von außen.

„Scheiße“, dachte ich und rannte mit Maries Hand in der meinen auf den Hauptausgang zu. Die Tür ließ sich glücklicherweise von innen öffnen.

Ich wollte zur Straße laufen, doch Marie zog mich hinter eine Mülltonne neben der Kirche. Der Mann kam um die Ecke und sah sich um.

„Wer ist da?“, schrie er in die Dunkelheit, die uns schützte. Er kam näher, doch wir rührten uns nicht. Marie drückte meine Hand so fest, dass ich sie nicht mehr spürte. Ich hielt meinen Atem an, um uns nicht zu verraten. Der Mann sah sich um, doch gab schnell wieder auf.

„Diese Rotzbuben“, sagte er und seine Schritte entfernten sich langsam.

Ich stieß die Luft wieder aus und musste kichern.

„Psch“ sagte Marie, doch sie verfiel ebenso in ein zurückgehaltenes Lachen. Als wir sicher waren, dass der Mann nicht mehr in der Nähe war, sprang ich auf. „Komm“, sagte ich zu Marie und wir liefen zu meinem Fahrrad, das die ganze Zeit an einer Parkbank angelehnt auf uns wartete.

So schnell ich konnte radelte ich mit Marie von der Kirche weg in die Dunkelheit.

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