Teil einer Zicken Clique

Die dominante Anna sagt zur schüchternen Anna: „Du brauchst mehr Selbstbewusstsein! Lass mich dir helfen.“

Ich sehe, wie die dominante Anna die Führung übernehmen will. Sie ist Julias beste Freundin. Was Julia in ihr sieht, verstehe ich nicht wirklich. Die Anna, die den Blick einer Schlange hinter der dicken Brille trägt, gehört erst seit wenigen Wochen zur Freundesgruppe.

Ihr schwarzes, glattes Haar ist meist offen. Sie benötigt es zum Verführen. Hierbei geht es aber nicht nur um das andere Geschlecht. So gut wie jeder Mensch in ihrem Umfeld soll von ihrem Gift kosten, das sie nicht mit den Zähnen, sondern über Worte verteilt.

„Du bist so hübsch“, sagt sie, um jemandem zu schmeicheln und dreht sich dann um und sagt leise: „für eine dicke Person“, zu jemanden, dem sie Vertrauen und Verbundenheit vorschwindeln möchte.

Nun ist sie in meiner Freundesgruppe gelandet und schlängelt ihren Weg von Freund zu Freund. Die schüchterne Anna ist gefundenes Fressen. Sie liegt praktisch mit offener Kehle am Boden vor ihr. Unsichere Personen sind leicht zu beeinflussen – und auch zu manipulieren.

Die dominante Anna ist mit Julia, die sie überhaupt erst in diese Gruppe gebracht hatte, praktisch durch. Sie bekam, was sie von ihr bekommen wollte. Sie saugte alles aus ihr heraus, was es für sie zum Heraussaugen gab.

Ich mochte sie von Anfang an nicht. Das muss sie gespürt haben, denn plötzlich schoss das Gift auch in meine Richtung.

„Du hast gesagt, deine Mutter fährt dich in die Stadt! Was meinst du damit, dass sie doch keine Zeit hat und auch kein Bus mehr fährt? Fahr doch mit dem Taxi! Du hast kein Geld für ein Taxi? Pff! Ausreden. Wenn du wirklich kommen wolltest, dann würdest du einen Weg finden. Wahre Freunde würden [die 20 Kilometer] auch zu Fuß gehen.“

Ihre scharfen Zähne sind schon zu tief in das Fleisch ihrer Beute gedrungen. Die schüchterne Anna verfiel ihr und ihren süßen Lügen. Der Rest der Gruppe akzeptierte sie bereits als Anführerin.

Meine Sei-wie-du-wirklich-bist-Reden, an die ich selbst so sehr glauben wollte, passten nicht in ihre Strategie. Ich war ein Hindernis ihrer Machteroberung. Sie musste mich loswerden, noch bevor die schüchterne Anna ihre Spiele durchschaute.

Daher trug sie Julia einen Loyalitätstest auf. Diese nahm jeden Aufmerksamkeitskrümmel, den die dominante Anna ihr zuwarf, dankend an. Sie spürte, dass ihre Zeit in dieser Freundesgruppe bald zu Ende sein wird und hielt an allem fest, was diese Zeit noch verlängern konnte.

Kurzerhand erhielt ich einen Anruf, als ich zuhause auf der Terrasse Müsli aß.

Julia sagte mit schüchterner und gleichzeitig wütender Stimme: „Wir haben keinen Bock mehr auf dich. Was ist das für eine Freundschaft, wenn du nie dabei bist?“ Ich hörte die Worte, die ihr Anna in den Mund gelegt hatte.

Überrascht legte ich auf und war am Boden zerstört. Wie konnten meine besten Freunde mich einfach so fallen lassen? Ich schlussfolgerte, was ein Teenager mit niedrigem Selbstbewusstsein eben schlussfolgert: Das Problem lag bei mir. Ich war nicht gut genug. Ich habe mich nicht genug angestrengt. Ich hätte die 20 Kilometer einfach zu Fuß gehen müssen. Das war nun mal der Preis der Freundschaft.

Ach, und weil ich schon dabei bin: Hübsch bin ich auch nicht, oder liebenswert. Es war gut, dass sie mich aus der Freundesgruppe entfernt haben. Ich war sowieso nur ein schlechter Einfluss auf sie. Ich ziehe alle Menschen nur runter. Sie sind ohne mich besser dran. Ich habe sie nicht verdient. Das sehe ich jetzt.

Traurig eigentlich, was ein paar winzige Worte, an einem Dienstag Nachmittag gesprochen, mit einem Menschen machen können.

Ein Jahrzehnt später erzähle ich diese Geschichte weiter. Erzähle, wie wertlos ich mich in diesem Moment fühlte. Erzähle, wieviel Schmerz immer noch in mir ist. Wie dieser Moment mein Selbstwertgefühl in den Keller rammte, alle anderen Beziehungen, die folgten, auf diesem Fundament der Angst wuchsen.

Der Therapeut antwortet: „Glaubst du nicht, dass es einfach eine oberflächliche Zicken-Gruppe war und sie machten, was Zicken eben machen?“

Oh, shit.

3 Antworten auf „Teil einer Zicken Clique

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  1. Diese kleinen Teeniefaschos…wer ist denen in seiner Jugend nicht begegnet und wer war nicht in irgendeiner Art und Weise Opfer von diesen kleinen Biestern? Sehr eindrucksvoll von dir geschrieben!! Ansonsten: Kopf hoch und sich nicht unterkriegen lassen.

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  2. Braucht man dafür einen Therapeuten?Das ist der Spiegel der heutigen Gesellschaft.Je Dümmer sie sind,umsomehr nutzen sie jeden schwachen Punkt um jemanden zu schaden!

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