8. Abhauen

Einer der seltenen Momente, in denen meine Mutter ihre strenge Seite zeigte, zwang mich auf den Rücksitz des Familienautos. Ich merkte, dass Protestieren hier keinen Sinn machte, ich würde auch mit 15 Jahren noch nicht allein zuhause bleiben dürfen. Ich fand es unfair; in meinen Augen war ich bereits alt genug, um die zwei Katzen und mich selbst für ein paar Tage zu füttern, ohne dabei das Haus in Brand zu setzen.

Es erwartete mich eine sechsstündige Fahrt zur Familie tief in den Alpen. Zu meinem Glück wollten meine Eltern vor der großen Reise bei der lokalen Bank noch ein bisschen Bargeld abheben. Während ich sie vom Auto aus durch das Fenster des Gebäudes am Bankautomaten beobachtete, dachte ich über meine Traurigkeit nach.

Die Liebe meines Lebens, ein 21-jähriger Mann, hatte meine Einladung, am Wochenende bei mir im leeren Haus ein Glas Wein zu trinken, erwartungsvoll angenommen. Das wäre nun nicht möglich.

Die verpasste Chance verspürte ich als ein so starkes Ziehen in meinem Inneren, dass es fast nicht auszuhalten war. Wut auf meine Eltern, das Gefühl, etwas Großes zu verpassen, der Herzschmerz und der Hass auf diese Reise spülten durch meinen pubertären Körper und verleiteten mich zu einer irrationalen Entscheidung.

Kurzerhand stieg ich aus dem Auto und rannte so schnell ich konnte. Das Adrenalin meiner Tat pumpte durch meine Venen und es fühlte sich an, als könnte ich in diesem Moment jedes Fahrzeug auf der Autobahn überholen.

Meine Mission war erfolgreich, als ich mich an meiner besten Freundin festhielt und wir mit dem Moped in den nächsten Ort fuhren. Dort trafen wir uns mit anderen Freunden wie immer beim Sportplatz, um abzuhängen und Zigaretten zu rauchen. Wie es meinen Eltern ging, versuchte ich zu verdrängen. Hier war ich in Sicherheit.

Nur die Anrufe meiner Tante nahm ich nervös entgegen. Zu meiner Erleichterung wurde ich nicht in das andere Bundesland gezwungen und durfte bei meiner Tante übernachten. Mir war bewusst, dass meine Handlung schwere Konsequenzen nach sich ziehen wird, doch im Moment war viel wichtiger: Ich konnte meinen Schwarm am Abend doch noch sehen, wenn ich mich erfolgreich aus dem Haus meiner Tante schleichen würde.

Um 23:00 Uhr lag ich hellwach im dunklen Gästezimmer, als mich eine SMS erreichte: „Ich bin hier.“ Aufgeregt versuchte ich, so langsam und still wie möglich die Stufen hinunterzugehen, wo meine Tante bereits unten wie ein Wachhund auf mich wartete und mich misstrauisch ansah. Ich redete mich damit hinaus, dass mir das WC im Erdgeschoss lieber sei als das im ersten Stock.

Ich hörte, wie mein Fast-Freund in seinem Auto wieder wegfuhr. Danach ließ mich mein schweres Herz einige Stunden lang weinen. Alles schien so unfair. Rückblickend bin ich froh, denn meine Tante bewahrte mich davor, meine Jungfräulichkeit als 15-jähriges Mädchen an einen 21-jährigen Mann zu verlieren.

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