5. Eine fremde Frau

Es ist also offiziell: Meine Eltern werden sich nicht wieder vertragen.

Papa hatte sofort eine neue Frau. Er sagte immer, dass er unsere Mutter nicht betrogen hatte, aber ich glaubte ihm das als Kind schon nicht.

In der Zeit nach der Trennung unserer Eltern wurden mein Bruder und ich mit Geschenken überhäuft. Es war, als wollten sie unsere Zuneigung kaufen und uns so an ihre Seite ziehen.

Ich erinnere mich an einen Samstag, an dem uns unser Vater von zuhause abholte. Alle zwei Wochen schliefen wir bei seiner neuen Familie, die uns nicht mochte. Seine neue Frau gab mir das Gefühl, ein zweitrangiger Mensch zu sein.

In ihrer Welt waren ihre beiden Söhne die Engel und mein Bruder und ich die Teufel. Sie stritt mit unserem Vater, wenn er mit seinen Kindern etwas unternehmen wollte, und war eifersüchtig auf jeden Funken Aufmerksamkeit, den er uns schenkte. Sie schien sich zu wünschen, ihren neuen Mann ohne „Altlasten“ zu bekommen, doch Kinder verschwinden nicht so einfach.

Noch kein einziges Mal in meinem Leben wurde ich von ihr mit ernstem Interesse gefragt, wie es mir ginge. Noch nie hatte sie auch nur ein einziges positives Wort über mich oder meinen Bruder von sich gegeben. Das netteste Gefühl, das sie für mich hatte, war Toleranz und die schenkte sie mir auch eher sporadisch.

Meinen Vater zu besuchen war unangenehm und löste in meinem zehnjährigen Körper ein Gefühl der Verzweiflung und des Kontrollverlustes aus.

Es war kein aktives Handeln, das meinen damals kleinen Kopf so schädigte. Es waren die Jahre an ständiger Verachtung, die ich erfuhr. Mir wurde das Gefühl gegeben, dass es für sie am besten wäre, wenn ich einfach nicht existieren würde. Das Gefühl, nur ein Hindernis zu sein, ein Problem in ihrem Traum vom perfekten Leben mit ihrem neuen Mann.

Tiefsitzende Probleme mit meinem Selbstwertgefühl waren die Folge dieser neuen Frau, für die ich mittlerweile kein einziges gutes Wort mehr übrig habe. Immerhin war ich ein kleines Kind und sie eine erwachsene Frau, zumindest in der Theorie.

An diesem Samstag, als unser Vater uns abholte, erzählte er uns von einer Überraschung, die er für uns habe. Gespannt spitzte ich die Ohren. Will er mit uns in die Bowlinghalle fahren? Hat er mir ein neues Spielzeug-Pony gekauft? Bekommen wir in seinem neuen Haus ein eigenes Zimmer?

Nein. Die Überraschung war: „Ich habe sie geheiratet.“ Stolz zeigte er uns seinen Ehering. Ich ließ mich in meinen Sitz zurückfallen. Er hatte diese Person geheiratet und uns nicht einmal zur Hochzeit eingeladen.

Bis heute ist sie Teil seines Lebens und meiner Kindheit. Doch in der Gegenwart hat sie keinen Platz mehr.

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