Als Atheist mit Atheisten-Eltern habe ich mich bereits als Teenager vor allen religiösen Feiertagen und Bräuchen gedrückt. Wie es in den 90ern am Land noch üblich war, wurde ich auch mit religionslosen Eltern in der Theorie römisch-katholisch erzogen.
Ich erfuhr die Taufe, hatte eine Taufpatin, wurde gefirmt, feierte Ostern und Weihnachten und ging in ein römisch-katholisches Gymnasium. Doch sobald ich selbst für mich entscheiden konnte, entfernte ich mich von der Kirche und ihren Werten.
Mir gefiel es mehr, für mich selbst zu denken und mein eigenes moralisches System und Richtlinien aufzubauen, anstatt blind die einer anderen Gruppe zu übernehmen.
Dieses Jahr wurde ich allerdings von meiner Familie zu Allerheiligen eingeladen. Mit Freuden nahm ich die Einladung an, weil ich gerne Zeit mit meiner Familie verbrachte und ich es für eine gute Tat halte, die Großeltern ab und zu an ihrem Grab zu ehren. Immerhin verdanke ich ihnen mein Leben.
Was mich allerdings erwartete, konnte ich nicht ahnen. Die letzte Allerheiligen-Feier war über 15 Jahre her und ich hatte keine starken Erinnerungen daran.
Die Vorstellung, ein paar Menschen anzutreffen und in Stille an die Verstorbenen zu denken, löste sich schon auf dem Weg zum Friedhof auf. Große Familiengruppen spazierten zur selben Zeit zu den Gräbern. Der Friedhof war voll. Es waren mehr Menschen über der Erde, als unter ihr.
„Dies ist ein Treffen der Egos. Jeder zeigt sich von seiner besten Seite und will auch dementsprechend gesehen werden“, flüsterte meine Tante mir amüsiert zu. Ich blickte mich um.
Tatsächlich trug jeder seine schönsten Kleider. Die Familien versuchten, so harmonisch und stark wie möglich zu wirken und während der Pfarrer seine Rede hielt, war jeder Erwachsene ruhig und senkte respektvoll seinen Kopf.
Ich fühlte mich wie ein naives Schaf inmitten einer Schafherde, die ohne Ziel im Kreis läuft. Jedes denkt, dass das Schaf vor ihm die Richtung kennt und es nur folgen muss, um ans Ziel zu kommen.
Deshalb fokussierte ich mich auf meine Großeltern. Ich schaute mir ihre kleinen Fotos am Grabstein an und erinnerte mich an die schönen Zeiten, die wir hatten. Meine Tante erzählte mir das gesamte Familiendrama und erklärte, wer mit wem verwandt war und wer was von wem dachte.
Nachdem die Ministranten mit dem Weihrauch und der Pfarrer mit dem Weihwasser an uns vorbeigegangen sind, verließen wir den Friedhof und der Grund, warum ich die Einladung angenommen habe, begann: Die wahre Familienzeit.
Auf dem Weg zurück zum Haus versprach ich meinen Großeltern, sie nur noch aus authentischen Gründen zu besuchen und nicht nur, um an Allerheiligen vom Dorf gesehen zu werden.
Was denkst du?