Das erste Mal hatte ich den Rasierer mit 14 Jahren in der Hand.
„Jeden Tag musst du deine Beine, deine Achseln, deine Intimzone und alle anderen Bereiche, in denen Haare wachsen, rasieren“, höre ich die innere Stimme sagen, die nicht wirklich von Innen kommt. Die Worte werden mir bereits seit Kindheitsjahren zugeflüstert.
Ich zupfte das dunkle Haar, das über meinem Bauchnabel wuchs, das Haar, das aus meinem Muttermal kam, die Haare rund um meine Brustwarzen, die Haare meiner Augenbrauen. Ich rasierte die Haare auf meinen Zehen und kürzte die Haare auf meinen Armen, damit sie nicht so „männlich aussehen“.
Wenn die Haare mal wuchsen
Hatte ich ein paar Tage lange keine Zeit, keine Kraft oder keine Lust zum Rasieren, schämte ich mich. Die juckenden Stoppel, die spätestens am nächsten Tag auftauchten, fühlten sich unangenehm an. Doch noch unangenehmer waren die angewiderten Blicke der anderen Menschen, die sofort zu meinen unrasierten Beinen schossen. „Igitt“, stand in ihren Gesichtern.
Hatte ich meine Achseln nicht rasiert, traute ich meine Arme nicht zu heben. Ich erinnere mich an einen Mann in dem Café, in dem ich als Teenager arbeitete, der mir sagte: „Das ist ekelhaft. Rasieren geht doch so schnell unter der Dusche.“
War mein Intimbereich nicht rasiert, hielt mich die Angst davor ab, Sex zu haben. Ich fühlte mich abstoßend. Mein natürlicher Körper war nicht gut genug. Im Gegenteil: Ich musste ihn verstecken. Niemand durfte mich so sehen.
Wendepunkt?
Eines Tages war ich es satt. Ich legte den Rasierer in eine Schublade und ließ ihn dort zwei Wochen lang in der Dunkelheit versauern.
Die Haare an meinen Beinen wuchsen. Ich strich mit der Hand darüber. Trotz ihrer dunklen Farbe waren sie ziemlich dünn und weich. Es fühlte sich genauso gut an wie frisch rasierte Beine.
Ich recherchierte, warum Frauen sich überhaupt rasieren. Überlegte, warum bei Männern Haare am Körper akzeptiert werden. Fand heraus, dass Unternehmen dieses Bedürfnis kreierten, um uns Dinge zu verkaufen. Erkannte, dass man unsichere Menschen leichter kontrollieren konnte. Merkte, wie der durchschnittliche Bürger Opfer seiner Unsicherheiten war.
Es war an der Zeit, mich meinen Ängsten und den falschen Glaubenssätzen zu stellen.
Ich bin eine Erwachsene und kein Kind. Die Pubertät hat mir Körperbehaarung geschenkt. Ich bin ein Mensch, ein Säugetier. Ein Wesen in einem Körper, der Haare wachsen lässt. Haare, für die ich mich weder schämen, noch sie entfernen müsste.
Mein Körper ist, wie er ist. Er ist mein Zuhause und ich liebe ihn unabhängig von den Haaren, die ein Teil von ihm sind.
Was denkst du?